Nahrung, Humus, CO2-Reduktion, nachhaltiger Baustoff, Heilmittel: Pilze bieten für die meisten unserer globalen Probleme einfache Lösungen. Jetzt braucht es nur noch Menschen, die dieses Potenzial ausschöpfen. Eine Handvoll davon gibt es in Österreich.
Sie gehören zu den ältesten Lebewesen der Welt, sind weder Tier noch Pflanze, und ohne sie gäbe es das Leben, wie wir es heute kennen, nicht: Pilze sind weitaus mehr, als die Eierschwammerl im Gulasch und der Parasol in der Panier, der Fußpilz auf den Zehen oder der Schimmelpilz in der Wand. Sie sind ein Wunderwerk der Schöpfung, und durchziehen mit ihrem Pilzmyzel unterirdisch die Erde. Genau diese Erde, die in Gefahr ist.
Fakt ist: Wenn wir so weitermachen, dann verbrauchen wir bis 2050 die Ressourcen von drei Erden. Zukunftsorientiert ist das nicht. Doch Experten sind sich einig: Pilze könnten unseren Planeten retten – wenn man sie richtig einsetzt.
Zwei, die daran arbeiten das Wissen um die Kraft der Pilze zu verbreiten und an deren Wirkung forschen, sind Thomas Brausteiner und Edin Ibrišimović. In ihrem Pilz-Kompetenzzentrum „Mush-Room Vienna“ samt Mykotheke in Wien Ottakring (Possingergasse 59 und Online-Shop) züchten sie Reishi, Shiitake, Igelstachelbart und Co. unter Laborbedingungen in höchster Reinheit. Von der Spore bis zum Endprodukt wird in Zusammenarbeit mit dem in Österreich und Europa einzigartigen Forschungszentrum MRCA (Mushroom Research Center Austria) in Innsbruck alles in Österreich kontrolliert angebaut und verarbeitet. Im Shop finden sich Vitalpilzprodukte wie Cracker, Tees, Öle, Gewürze, Trockenfleisch und Frischpilze genauso wie Mykorrhiza Düngerersatz. Zunderschwamm, Schmetterlingstramete und Co. werden zudem als hoch konzentrierte Extrakte angeboten – für den Menschen, wie auch für Haustiere.
„Das, was wir hier machen ist aber nur ein ganz kleiner Bruchteil dessen, was möglich wäre. Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ein Ozean“, ist Thomas Brausteiner überzeugt. Er sieht sich als „Anstoßer“, der interessierte Menschen aus ihren Fachgebieten, von der Architektur bis zur Kosmetik, anlocken möchte. Diese sollen das Thema Pilz in ihren Bereichen aufgreifen, nutzen und weiter daran forschen. Brausteiner: „Wie in Silicon Valley, wo die Programmierer, wenn sie einmal gelernt haben wie die Programmiersprache geht, alles daraus bauen können.“ Doch welche Bereiche unseres Lebens können von Pilzen profitieren?
Frische Bio-Shiitake Vitalpilze aus eigener Produktion: Im „Mush-Room Kompetenzzentrum“ bringt Thomas Brausteiner den Menschen die Welt der Pilze näher.
Bodenverbrauch und Lebensmittelproduktion
Eine Studie der UN-Welternährungsorganisation FAO bestätigt: Noch 60 Ernten, dann ist Schluss mit dem Ackerbau. Die herkömmliche Landwirtschaft fördert Erosion und macht unsere Böden unfruchtbar. Das einzige Lebewesen, das bei der Herstellung selbst Humus produziert, ist der Pilz – und das in einer Qualität, die sonst nicht erreichbar ist. Pilzzucht ist also gleichsam ein Mittel gegen die Erderwärmung. In der Humus-Schicht wird enorm viel Kohlenstoff,
also CO2, gespeichert. Mehr Humus im Boden bedeutet also weniger CO2 in der Atmosphäre.
Auch unsere Ernährung hat einen enormen Anteil an der Menge der Treibhausgas-Emissionen. Der marginale
Verbrauch an Wasser und die potenziellen Erträge sind enorm wichtige Faktoren, welche in der herkömmlichen Nahrungsmittelproduktion – allem voran Fleisch – aus dem Ruder laufen.
Zum Vergleich: Der Jahres-Hektar-Ertrag liegt bei Bio-Rindfleisch bei 0,8–1 Tonne, bei Pilzen bei 800 Tonnen – das sind eintausend Mal so viel. Für einen Kilo Schweinefleisch werden ca. 21.000 Liter (!) Wasser verbraucht – für einen Kilo Pilze ca. acht Liter. Hinzu kommt, dass Pilze zu 100 Prozent als Nahrung verwertet und getrocknet ungekühlt eigentlich unendlich lang gelagert werden können.
Vakuumverpackt bleiben die Inhaltsstoffe über Jahre ohne signifikanten Abfall erhalten. „In einem Standard Schiffscontainer kann pro Monat eine Tonne Pilz erzeugt werden. Das bietet enorme Möglichkeiten bei der Entwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft auch auf kleinem Raum, z.B. für Urban Farming – auch in den ärmsten Regionen der Welt“, so Brausteiner. Ein Mittel also gegen das Welthungerproblem – und die Erderwärmung.
Die Wirkung von Vitalpilz-Komplexen für Haustiere überzeugt immer mehr Tierärzte. Für Menschen gibt’s Vitalpilz-Cracker, Tee und Trockenfleisch – oder veganes Leder für Hüte und Co..
Entgiftung für Böden, Wasser – und den Körper
Auch bei der Boden- und Wassersanierung und -entgiftung sind Pilze Problemlöser. „Der Pilz ist der älteste Biochemiker unseres Planeten. Schmeißt man ihm – bildlich gesprochen – Dreck hin, dann sieht er das nicht als Dreck. Er nimmt alles Organische, zerreißt es in seine Vorstufen und nimmt sich raus, was er braucht“, erklärt Brausteiner.
„Um beispielsweise Erdölderivate abzubauen, braucht es also keine großen Raffinerien mit viel Chemie, sondern lediglich Pilze, die man arbeiten lässt.“ So wie Pilze verseuchtes Erdreich reinigen können, können sie auch unseren
Körper heilen. Während in Japan und China seit Langem an den Wirkungspotenzialen der Vitalpilze geforscht wird, und dort diverse Pilze auch in der Therapie zugelassen sind, hat die westliche Medizin vor allem in den USA Anfang der 2000er Jahre begonnen, diverse Studien durchzuführen – besonders über den Reishi und aktuell über die Schmetterlingstramete.
Im Zentrum steht deren Wirkung bei kanzerogenen, also Krebs erzeugenden Veränderungen. In Europa wurden in den vergangenen Jahren vor allem Polysaccharid-Verbindungen und Triterpene erforscht. Diese Stoffe werden als potente
Immunsystem-Booster definiert, welche unser körpereigenes Immunsystem gegen jegliche Art von Infekten, aber auch
im Kampf gegen Krebs, unterstützen. Genau diese angeführten Stoffe kommen in der natürlichen Form und oft in hoher Konzentration in den Vitalpilzen vor. Brausteiner: „Das steigende Gesundheitsbewusstsein führt zu einer immer höheren Nachfrage nach Vital- und Heilpilzen.” Man sieht also, das Potenzial der Pilze ist enorm – und bei Weitem
noch nicht ausgeschöpft. „Ich könnte stundenlang über das Thema sprechen“, lacht Brausteiner. Und das tut er. Von Pilzschokolade, die gegen Allergien hilft. Von nachhaltigem Dämm- und Baumaterial aus Pilzfäden als Alternative zu Styropor oder Sperrholz. Von Fahrradrahmen aus Hanf, die mit Pilz überwachsen bruchfest werden. Von Fluchtwegplanung in komplexen Gebäuden in Japan – weil der Pilz so intelligent ist, dass er den schnellsten Weg nach draußen findet. Und und und. Da bleibt nur zu sagen: Gebt den Pilzen das Kommando!
Schreibt: Melanie Leitner
Veröffentlicht in der Kronen Zeitung im Mai 2021.